Impuls zum 29. März

Wenn die Zeichen auf Sturm stehen…:
Nur wenige Menschen haben Stunden und Zeiten nicht erlebt, in denen sie sich allein und einsam fühlten und nicht wussten, wie es weitergehen soll. In ähnlicher Gefühlslage befinden sich jetzt wahrscheinlich nicht wenige Menschen. Wohin mit der Sorge um andere liebe Menschen? Wohin mit der Befürchtung vor Ansteckung? Wohin mit der Angst, was wohl noch alles auf uns zukommen könnte?

Matthäus berichtet in seinem Evangelium von einer Situation, die er wahrscheinlich selbst miterlebte. Diese Geschichte kann und will uns ermutigen (Matthäus 8, 23 – 27): Daraufhin stieg Jesus in das Boot; seine Jünger folgten ihm, ´und sie fuhren los`. Plötzlich brach auf dem See ein heftiger Sturm los, sodass das Boot fast von den Wellen begraben wurde. Jesus aber schlief. Die Jünger stürzten zu ihm und weckten ihn. »Herr«, schrien sie, »rette uns, wir sind verloren!« Aber Jesus sagte zu ihnen: »Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?« Dann stand er auf und wies den Wind und die Wellen in ihre Schranken. Da trat eine große Stille ein. Die Leute aber fragten voller Staunen: »Wer ist das, dass ihm sogar Wind und Wellen gehorchen?«

Jesus und seine Freunde fahren über den See Genezareth. Dieser See ist gefährlich. Die Wetterlage ist unberechenbar. Durch plötzlich aufkommende Fallwinde kann der See sich innerhalb von Minuten in einen stürmischen Hexenkessel verwandeln. So erlebt es Jesus mit seinen Jüngern. Sie geraten urplötzlich in einen furchtbaren Sturm. Dabei hatte die Fahrt so schön begonnen. Der See lag still und friedlich in der Abenddämmerung. Man freute sich auf eine gemütliche Seefahrt zum Tagesausklang. Doch plötzlich ist alles ganz anders. Fast ohne Vorwarnung brechen die Naturgewalten über das Schiff herein, das durch die aufgepeitschten Wellen wie eine Nussschale hin- und hergeworfen wird. Es scheint alles verloren zu sein.

Im Schiff sitzen erfahrene Männer. Petrus, Andreas, Johannes und Jakobus sind Fischer. Sie kennen den See von klein auf. Er war bis vor Kurzem ihr täglicher Arbeitsplatz. Manche Krisensituation mussten sie schon meistern. Doch dieser Sturm war mit nichts zu vergleichen, was sie bisher erlebt hatten. Deshalb verlässt sie in dieser aussichtslosen Lage auch die Hoffnung und der Mut. Nackte Todesangst ergreift sie.
Es ist für uns sicher nicht schwer, dieser damaligen Situation nachzuspüren und uns in Gedanken mit ins Boot zu setzen. Wenn die nackte Angst nach uns greift, steigt die Gefahr, in Panik zu geraten. …

Als Menschheit wissen wir schon lange, dass wir alle gemeinsam in einem Boot sitzen. Klimawandel und Migrationswellen weltweit weisen untrüglich darauf hin. Aber bisher funktionierte die gefühlsmäßige „Verdrängung“ noch ganz gut. Die Einschnitte waren für das tägliche Leben kaum spürbar. Über reichlichere und wärmere Sonnentage können die meisten Menschen in unseren Breitengraden sich sicher noch freuen. Aber nun kommt so ein kleiner unsichtbarer Virus, den wir gefühlsmäßig nicht mehr so einfach verdrängen können, da jeder einzelne von uns die Auswirkungen gravierend im täglichen Leben zu spüren bekommt. Wie ein Sturm scheint er plötzlich durch die Menschheit zu fegen und lässt sich nicht durch Schließung von Staatsgrenzen aufhalten. Plötzlich wird uns spürbar vor Augen geführt: Wir sitzen alle in einem Boot und sind den „Naturgewalten“ fast hilflos ausgeliefert.
Egal, wie wir diesen oder ähnliche „Stürme“ auch erleben, meist erfahren wir darin immer ein Stück unserer Ohnmacht. Wir fühlen uns auf einmal nicht nur hilflos, wir sind es. Wir können kaum etwas tun. Hilflosigkeit hat meist Angst im Schlepptau. Angst hat mit Enge zu tun. Wir fühlen uns in die Enge getrieben.
Zurück zu unserer Geschichte. Die Freunde von Jesus waren in diesem Sturm auf dem See nicht allein. Jesus war bei ihnen. Nach einem anstrengenden Tag hatte er sich ins Boot gelegt und schlief. Er wusste sich in der Hand seines Vaters, in der Hand Gottes. Der Sturm konnte ihm deshalb nicht den Schlaf rauben.
Solche Gelassenheit, wie Jesus sie hier an den Tag legt, wünsche ich mir in diesen Tagen auch. Gelassenheit kann nur auf dem Fundament tiefer Geborgenheit wachsen. Geborgenheit in Gott. Wie komme ich zu solcher Gelassenheit? Ich erfahre sie einerseits als Geschenk, andererseits als Ergebnis harter Arbeit. Oder anders gesagt: Das Geschenk der Gelassenheit in notvollen Situationen fällt mir nicht in den Schoß, ich muss ihm sozusagen den Weg zu mir bereiten. – In dieser Geschichte wird sichtbar, welche Schritte wir gehen müssen, damit Gelassenheit wachsen kann:

1. Ich öffne mich, statt mich zu vergraben
Genau das tun die Jünger. Sie wenden sich an Jesus. Sie öffnen sich ihm in ihrer Todesangst. In ihrer Not und Verzweiflung wenden sie sich an ihn. Sie bleiben mit und in ihrer Angst nicht allein.
Und wie reagiert Jesus, als sie ihn voller Angst mit den Worten wecken: „Herr, rette uns, wir gehen verloren!“? Er beruhigt sie erst einmal: „Kopf hoch, alles halb so schlimm. So hoch sind die Wellen nun auch nicht. Ich bin bei euch. Ihr werdet es überleben …“ Davon steht kein Wort in dieser Geschichte. Matthäus berichtet uns nur, dass Jesus ihnen eine Frage stellt: „Warum habt ihr solche Angst?“ In dieser Frage sehe ich einen weiteren Schritt auf dem Weg, Gelassenheit zu finden:

2. Ich stelle mich meinen Gefühlen
Oft sind „Warum-Fragen“ sinnlos. Aber wenn es um unsere Gefühle geht, sind sie sehr sinnvoll. Nur derjenige kann seiner Angst wirkungsvoll begegnen, der den Grund seiner Angst identifizieren kann.
„Warum hast du jetzt Angst?“ Diese oft von mir an mich selbst gerichtete Frage ermutigt mich, mich meiner Angst und Sorge zu stellen, mich ihr nicht hilflos zu überlassen und mit ihr allein zu bleiben, sondern den Grund der Angst zu identifizieren. Dazu ermutigt Jesus seine Freunde im Boot. Keiner von uns muss mit seiner Angst und seiner Sorge allein bleiben! – In der Frage Jesu entdecke ich noch eine weitere Ermutigung:

3. Ich erinnere mich
Jesus lädt uns ein, uns daran zu erinnern, dass wir mit unserer Angst und Sorge nie allein sind, auch wenn wir uns im Moment vielleicht alleingelassen fühlen. Jesus sitzt mit im Boot! Wer nur auf die Stürme seines Lebens fixiert ist und Jesus dabei aus den Augen verliert, hat allen Grund mutlos und verzagt zu werden. Aber keiner von uns sitzt allein im Boot! Jesus hat ein so feines Gehör, dass er auch im gewaltigsten Sturmgetöse unserer Gefühle selbst unser Flüstern hört. Und wenn uns die z. Z. für unser aller leibliches Wohl gesetzlich auferlegte äußere Distanz zueinander nicht davon abhält, die innere Nähe zu anderen Menschen zu suchen oder auszubauen, muss keiner von uns einsam werden.

Jesus kann die Stürme in uns stillen – immer wieder. Aber oft tut er es nicht ohne uns, sondern nur mit uns. Jesus sitzt mit im Boot und bleibt im Boot – wenn wir ihn nicht über Bord werfen, so wie die Schiffsbesatzung es mit Jona machte. Mit Jesus können wir Stürme überstehen. Und selbst wenn wir untergehen sollten, ist unser Untergang letztlich nichts anderes als ein Heimgang. Keiner fällt ins Bodenlose, sondern in die Arme Gottes.

Euer Johannes Rosemann