An(ge)dacht – sich immer neu in Frage stellen lassen…

Bei längeren Dienstfahrten nehme ich meist die Bahn. Vorteil: Ich komme ausgiebig zum Lesen. Meist theologische Artikel, Fachzeitschriften oder Bücher. Kürzlich las ich einen theologischen Aufsatz, in welchem mich besonders ein Zitat von Siegfried Großmann (ehemaliger Präsident unseres Bundes) an- sprach (aus seinem Buch„Hoffnung gewinnen…“):„Seine größten Schwierigkeiten hatte er (Jesus) mit den Menschen, die auf alles eine genaue Antwort hatten, die das Gesetz Gottes durch ihre vielen zusätzlichen Vorschriften starr und reglementierend gemacht hatten. Demgegenüber fordert er seine Jünger immer wieder heraus, sich einer ungeschützten, aber vertrauensvollen Nachfolge auszusetzen… In Zeiten des Umbruchs werden auf einmal die biblischen Aussagen wichtig, die uns in Frage stellen, denn nur derjenige, der sich neuen Fragen aussetzt, kann neue Wege finden.“
Das Büchlein mit dieser Aussage wurde schon 1986 veröffentlicht – vor mehr als 30 Jahren! Eine zeitlose Aussage, die nicht veraltet. Ich weiß, wie schwer es ist, sich selbst in Frage zu stellen und noch schwerer, sich von anderen in Frage stellen zu lassen. Gerade die Vermeidung dessen verleitet mich ja oft dazu, starr und unbeweglich zu bleiben, auf meiner Position zu verharren, mich nur im Rahmen der geschützten vorgegebenen Grenzmarkierungen zu bewegen. (Ob deshalb viele Nichtchristen so ein verschrobenes Bild vom Christsein haben?)

Im Laufe meines Lebens bin ich glücklicherweise diesbezüglich ein ganzes Stück weiter gekommen auf dem Weg, Fragen auszuhalten und nach Antworten zu suchen, selbst wenn ich mich bei dieser Suche einmal „verlaufen“ habe. Es ist allemal besser, sich bei der Suche zu „verlaufen“, als starr und un- beweglich auf der Stelle zu treten. Und inzwischen habe ich auch begriffen, dass es nicht auf alle Fragen eine Antwort gibt und auf manche nur unbefriedigende. Entwicklung im Glauben geschieht nur in der „Bewegung“. Wer auf der Stelle verharrt, wer immer nur krampfhaft einmal gewonnene geistliche Erkenntnisse festhält, ohne diese immer wieder einmal zu hinterfragen oder hinterfragen zu lassen, wird sich kaum weiterentwickeln. Gott hat uns auf Wachstum angelegt. Stillstand bedeutet Rückschritt.

Deshalb: Lasst uns gemeinsam Fragen stellen! Und uns selbst immer wieder in Frage stellen… Ich bin sicher: Der Weg der ehrlichen Antwortsuche ist immer der richtige Weg – auf dem ist Gott bei uns. Das gilt für unser ganz persönliches Leben und vor allem auch für unser gemeinsames Unterwegssein in der Christusgemeinde.

Johannes Rosemann